Rätsel um die 30,000 Jahre alte Venus von Willendorf endlich gelöst?

Man geht davon aus, dass die Venus von Willendorf im Jungpaläolithikum von nomadischen Jägern und Sammlern gefertigt wurde. Sie ist hinsichtlich ihres Designs und Materials einzigartig. da es aus einer Gesteinsart besteht, die in der Gegend von Willendorf, Österreich, nicht vorkommt. Es stammt wahrscheinlich aus Norditalien, was auf die Mobilität früher Menschen in den Alpen schließen lässt.

Seit vielen Jahren fasziniert die Figur der Venus von Willendorf Wissenschaftler. Diese vor etwa 30,000 Jahren gefertigte Statuette ist eines der ältesten Beispiele menschlicher Kunst und wird dem Jungpaläolithikum zugeschrieben. Sie wurde von nomadischen Jägern und Sammlern gefertigt.

Venus von Willendorf
Hier ist die bekannte Willendorfer Venus abgebildet. Links ist eine Seitenansicht. Das Bild oben rechts enthält zwei halbkugelförmige Hohlräume am rechten Gesäß und Bein. Das Bild rechts unten zeigt schließlich eine Vergrößerung eines Lochs, das den Nabel bilden soll. Kern, A. & Antl-Weiser, W. Venus. Edition-Lammerhuber, 2008. / Faire Nutzung

Im Jahr 1908 wurde bei einer Ausgrabung in der Nähe des Dorfes Willendorf in Niederösterreich die 11.1 Zentimeter große Figur namens „Venus von Willendorf“ gefunden. Die Darstellung übergewichtiger oder schwangerer Frauen, die in vielen kunsthistorischen Büchern präsent ist, wurde lange Zeit als Symbol für Fruchtbarkeit oder Schönheit interpretiert.

Richard Johnson, MD von der University of Colorado School of Medicine, sagte im Jahr 2020, dass er genügend Daten gesammelt habe, um das Rätsel um die Figur der Venus von Willendorf zu lösen. Der Schlüssel zum Verständnis der Satzung liegt laut Johnson im Klimawandel und in der Ernährung.

„Zu den frühesten Kunstwerken der Welt gehören diese mysteriösen Figuren übergewichtiger Frauen aus der Zeit der Jäger und Sammler im eiszeitlichen Europa, wo man überhaupt keine Fettleibigkeit erwarten würde“, sagte Johnson. „Wir zeigen, dass diese Figuren mit Zeiten extremen Ernährungsstresses korrelieren.“

Ein Forschungsteam unter der Leitung des Anthropologen Gerhard Weber von der Universität Wien, bestehend aus den Geologen Alexander Lukeneder und Mathias Harzhauser sowie der Prähistorikerin Walpurga Antl-Weiser vom Naturhistorischen Museum Wien, hat mithilfe hochauflösender tomografischer Bilder das Material entdeckt in die die Venus geschnitzt wurde, stammte wahrscheinlich aus Norditalien. Dieser bemerkenswerte Fund verdeutlicht die Mobilität der frühneuzeitlichen Menschen zwischen den nördlichen und südlichen Teilen der Alpen.

Die 30,000 Jahre alte Venusfigur ist aus Oolith gefertigt, einem Gestein, das in der Umgebung von Willendorf nicht vorkommt. Die Venus von Willendorf ist nicht nur in ihrem Design einzigartig, sondern auch im Material, aus dem sie gefertigt wurde. Andere Venusfiguren werden üblicherweise aus Elfenbein, Knochen oder verschiedenen Steinen geformt, doch die niederösterreichische Venus wurde aus Oolith geformt und stellt damit eine Ausnahme unter den Kultobjekten dar.

1908 wurde in der Wachau eine Figur entdeckt, die heute im Naturhistorischen Museum Wien ausgestellt ist. Bisher wurde es jedoch nur von außen untersucht. Der Anthropologe Gerhard Weber von der Universität Wien hat sein Inneres nun mit einem neuartigen Ansatz untersucht: der Mikrocomputertomographie. Die Scans haben eine Auflösung von bis zu 11.5 Mikrometern, was normalerweise nur durch ein Mikroskop sichtbar ist. Die erste Erkenntnis lautet: „Venus sieht im Inneren überhaupt nicht einheitlich aus. Eine besondere Eigenschaft, die zur Herkunftsbestimmung genutzt werden könnte“, sagt der Anthropologe.

Alexander Lukeneder und Mathias Harzhauser vom Naturhistorischen Museum Wien, die zuvor mit Oolithen gearbeitet hatten, analysierten und verglichen mit einem Team Proben aus Österreich und Europa. In einem aufwändigen Unterfangen beschaffte das Team Gesteinsproben von Frankreich bis zur Ostukraine, von Deutschland bis Sizilien, zerschnitt sie und analysierte sie unter dem Mikroskop. Die Analysen wurden durch die Förderung durch das Land Niederösterreich ermöglicht.

Das Innere gibt auch Auskunft über das Äußere

Tomographische Daten von der Venus zeigten, dass die Sedimentablagerungen in den Gesteinen hinsichtlich Größe und Dichte unterschiedlich waren. Daneben wurden auch kleine Muschelstücke und sechs größere, dichtere Körner namens „Limonite“ gefunden. Dies erklärt die halbkugelförmigen Hohlräume gleicher Größe auf der Oberfläche der Venus: „Die harten Limoniten sind wahrscheinlich herausgebrochen, als der Schöpfer der Venus sie geschnitzt hat“, erklärt Weber. „Im Fall des Venusnabels hat er ihn dann offenbar aus der Not zu einer Tugend gemacht.“

Eine weitere Erkenntnis: Der Venus-Oolith ist porös, weil sich die Kerne der Millionen Kügelchen (Ooides), aus denen er besteht, aufgelöst hatten. Dies machte es vor 30,000 Jahren zu einem begehrten Material für einen Bildhauer, da es einfacher zu verarbeiten ist. Eine kleine, nur 2.5 Millimeter lange Muschel wurde ebenfalls entdeckt und auf die Jurazeit datiert. Dies schloss die Möglichkeit aus, dass das Gestein Teil der geologischen Epoche des Miozäns im Wiener Becken ist.

Die Korngrößen der anderen Proben untersuchten die Forscher eingehend. Sie verwendeten Bildverarbeitungsprogramme und zählten und maßen manuell Tausende einzelner Körner. Keine der Proben im Umkreis von 200 Kilometern um Willendorf stimmte auch nur annähernd überein. Die Analyse ergab, dass die Proben der Venus statistisch mit denen aus Norditalien in der Nähe des Gardasees identisch waren. Das ist unglaublich, denn es bedeutet, dass die Venus (oder ihr Material) ihre Reise vom Süden der Alpen zur Donau nördlich der Alpen begann.

„Die Menschen im Gravettium – der damaligen Werkzeugkultur – suchten günstige Standorte und bewohnten sie. Wenn sich das Klima oder die Beutesituation änderten, zogen sie weiter, vorzugsweise entlang von Flüssen“, erklärt Gerhard Weber. Eine solche Reise hätte Generationen dauern können.

Venus von Willendorf
Auf den Bildern sind Mikrocomputertomographie-Scans der Venus abgebildet. Links ist eine segmentierte Muschel (Oxytomidae) zu sehen, die auf der rechten Seite des Kopfes gefunden wurde; Die Scanauflösung betrug 11.5 μm und die beiden charakteristischen Merkmale sind der Umbo und die Flügel. Das mittlere Bild ist eine Volumendarstellung der virtuellen Venus mit sechs eingebetteten Limonitkonkretionen in verschiedenen Farben. Schließlich zeigt das rechte Bild einen einzelnen μCT-Schnitt mit Porosität und Schichtung des Ooliths sowie der relativen Dichte der Limonit-Konkretion; Die Scanauflösung betrug 53 μm. Gerhard Weber, Universität Wien / Faire Nutzung

Vor einigen Jahren simulierten Forscher eine von zwei möglichen Routen von Süden nach Norden: einen Weg um die Alpen herum und in die Pannonische Tiefebene. Die andere Richtung hätte jedoch durch die Alpen geführt, obwohl aufgrund des sich damals verschlechternden Klimas ungewiss ist, ob dies vor mehr als 30,000 Jahren möglich war. Diese Alternative wäre höchst unwahrscheinlich gewesen, wenn es damals durchgehende Gletscher gegeben hätte. Bis auf 35 km am Reschensee lag die 730 km lange Fahrt entlang von Etsch, Inn und Donau stets unter 1000 m Seehöhe.

Venus von Willendorf
Vorläufige Migrationsrouten von Norditalien nach Niederösterreich. Der gelbe Pfad wird nach den Simulationen von a gezeichnet Forschung veröffentlicht in der Zeitschrift PLoS ONE. Der hypothetische blaue Weg von Sega di Ala (Norditalien) nach Willendorf (Niederösterreich) durch die Alpen folgt den großen Flüssen Etsch, Inn und Donau. Sega di Ala liegt in der Nähe der wichtigen paläolithischen Stätte Grotta di Fumane. Willendorf liegt in der Nähe einer Ansammlung paläolithischer Fundstellen aus verschiedenen Epochen in Niederösterreich (z. B. Krems-Hundssteig, Krems-Wachtberg, Aggsbach, Gudenushöhle, Kamegg, Stratzing). Erstellt mit Google Earth Data SIO, NOAA, US Navy, NGA, GEBCO. Natur / Fairer Gebrauch

Mögliche, aber weniger wahrscheinliche Verbindung zur Ostukraine

Die Daten deuten darauf hin, dass Norditalien die Quelle des Venus-Oolithgesteins ist. Es gibt jedoch noch einen weiteren potenziellen Ursprung in der Ostukraine, mehr als 1,600 Kilometer von Willendorf entfernt. Die Proben stimmen nicht so genau überein wie die aus Italien, aber besser als alle anderen. Darüber hinaus befanden sich im nahegelegenen Süden Russlands Venusfiguren, die zwar etwas jünger sind, aber der in Österreich gefundenen Venus durchaus ähneln. Darüber hinaus zeigen genetische Ergebnisse, dass die Menschen in Mittel- und Osteuropa in dieser Zeit miteinander verbunden waren.

Die spannende Geschichte der niederösterreichischen Venus könnte fortgesetzt werden. Bisher gibt es nur wenige wissenschaftliche Studien, die sich mit der Existenz prähistorischer Menschen im Alpenraum und ihrer Mobilität befassen. Der berühmte „Ötzi“ zum Beispiel stammt aus der Zeit vor 5,300 Jahren. Mithilfe der Venus-Ergebnisse und des neuen in Wien ansässigen Forschungsnetzwerks Human Evolution and Archaeological Sciences will Weber in Zusammenarbeit mit Anthropologie, Archäologie und anderen Disziplinen mehr Licht auf die Frühgeschichte des Alpenraums werfen.


Die Studie wurde ursprünglich in der Zeitschrift veröffentlicht Wissenschaftliche Berichte Februar 28, 2022.


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